w w w . w t w w a . d e   pressespiegel  <-      \/\/ 

Wiesbadener Tagblatt, 28.02.2003:

Wo sind die wilden Worte?

Die Räucherkammer als Wohnzimmer der jungen kreativen Literatur

Von unserer Mitarbeiterin Kira-Katharina Brück

Ein bisschen exotisch ist sie schon, die Atmosphäre in der Räucherkammer des Wiesbadener Schlachthofes. Die Beleuchtung ist nicht hell, dafür bunt; von der Decke hängen Schaukeln, deren Sitzflächen aus Skateboards gefertigt sind und DJ Dan Dee Grooveee unterlegt den literarischen Abend mit einer Musik, die ein Laie als undefinierbar beschreiben würde. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist alles sehr entspannt, das gemischte Publikum freut sich bei Bier und vielen Zigaretten auf die jungen Literaten.
"Wohnzimmer einer hippen Familie" denkt man wohl als erstes, wenn man die Räucherkammer an diesem Abend betritt; auch die Bierbänke, die als Sitzgelegenheit kreuz und quer im Raum stehen, scheinen niemanden ernsthaft zu stören. Diejenigen, die etwas früher da waren, konnten sich einen gemütlichen Stuhl vorne an der Bühne sichern, alle anderen kuscheln sich eng aneinander auf die Bänke.

Die literarischen Abende, die unter dem Motto "Where The Wild Words Are" monatlich in der Räucherkammer stattfinden, laufen stets unter dem gleichen Schema ab. Diesmal liest eine Autorin aus Hamburg, "Baujahr 1969", aus ihrem ersten Roman "Ich bin Duke" vor.
"Der erste Roman ist ja ein wichtiger Punkt im Leben einer Frau", begrüßt Tina Uebel das Publikum. Ihr Buch handelt von der Freundschaft zweier junger Männer Anfang 20. Es passiert bisweilen nicht viel, das ist das Hauptproblem der Beiden, ihre Freundschaft besteht vielmehr darin, die individuelle Langeweile den einzelnen mit Leben zu füllen. So spielen Duke und sein Freund abstruse Spiele, probieren illegale Drogen aus und betreiben "Prollwatching" in vorstädtischen Großraumdiskotheken. Tina Uebel liest fünf Szenen der insgesamt 80, die teilweise im realen und im nicht realen Leben spielen.
Das Publikum ist erfreut über den Witz in Tina Uebels Sprache. Als die den Drogenmissbrauch ihrer Protagonisten beschreibt, lacht man über Sätze wie:"Der Schrank atmet übrigens. Ich synchronisiere mit der Atmung des Schrankes." oder "Das Schlüsselloch ist etwas scheu heute."

Nach einer Pause geht es mit Poetry Slam weiter. Fünf Teilnehmer haben sich kurzfristig angemeldet, jeder hat fünf Minuten Zeit, auf der Bühne ein Gedicht oder einen Text, der aus der eigenen Feder stammt, vorzutragen. Das Publikum bewertet die literarische Leistung und den Vortrag.
Felix trägt einen Text über ein Treffen mit Gott vor, Almut Lösch beschreibt, wie sie ihre Krankheit Bulimie erlebt ("das Leben einfach ausgespuckt"), Ulrich gibt ein 18-strophiges Gedicht, in dem es um einen Krieg gegen Wolken geht, zum Besten, Florian H.H. Graf von Hinten nimmt in seinem Text das Buch "Generation Golf" von Florian Illies auf die Schippe und Lino trägt zum Aufwärmen ein Liebesgedicht und noch weitere lyrische Ergüsse vor. "Für mich ist es ein Bedürfnis, etwas mitzuteilen, manchmal auch rauszuschreien. Mir ist das Feedback des Publikums schon wichtig, aber ich sehe das slammen eher als eine besondere Form der Therapie", sagt Almut Lösch.
Im Finale stehen Florian H.H. Graf von Hinten und Lino. Sie "slammen" noch einmal, was das Zeug hält, die Zuhörer toben und freuen sich über die dreieinhalb Stunden Literaturevent, die ihnen geboten werden. Dem Gewinner dieses Abends, Florian, winken Preise und Ruhm - die Gunst des Publikums ist jedoch das erklärte Ziel. An diesem Abend hatten nicht nur alle Beteiligten viel Spaß, sondern kamen auch der Frage auf die Schliche, wo die wilden Worte denn nun sind: Zweifellos in der Räucherkammer.

(Foto von Tina Uebel, Unterzeile:)
Die Hamburger Autorin Tina Uebel hat nach zahlreichen Kurzgeschichten im Mai 2002 ihren Debütroman "Ich bin Duke" veröffentlicht. Bild: Monika Paulick
(Quelle: Wiesbadener Tagblatt vom 28.02.2003) )

w t w w a  presssespiegel       mailto: [where the wild words are]       /\